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Hintergrund

Wer war noch nie in der Kantine einer Schule, einem Krankenhaus oder in einem öffentlichen Museum? Die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung ist eine wesentliche Dienstleistung, die von den Regierungen für ihre Bürger*innen erbracht wird. Ihre Beschaffung ist ein wichtiger Teil der öffentlichen Ausgaben. Gleichzeitig steht das Ernährungssystem als Ganzes vor mehreren Herausforderungen. Die öffentliche Beschaffung und Gemeinschaftsverpflegung können Teil des Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit dieses Systems sein.

Öffentliche Beschaffung und Gemeinschaftsverpflegung

Öffentliche Gemeinschaftsverpflegung findet an vielen Orten statt, von Schulen und Universitäten, Krankenhäusern und Altenheimen bis hin zu den Kantinen von Ministerien, militärischen Einrichtungen und, ja, auch Gefängnissen. Sie ist somit Teil des Lebens fast aller Bürger*innen und ermöglicht ihnen täglich mindestens eine warme Mahlzeit zu einem erschwinglichen Preis. In der EU werden durchschnittlich 85 Millionen Mahlzeiten pro Tag in der Gemeinschaftsverpflegung ausgegeben (davon über 50% durch Vertragsverpflegung). Daher bietet die nachhaltige Lebensmittelbeschaffung in öffentlichen Einrichtungen ein enormes Potenzial, die Marktnachfrage nach umweltfreundlicheren Produkten zu steigern (ICLEI 2019).

Das zugrundeliegende System der öffentlichen Beschaffung und Gemeinschaftsverpflegung ist ziemlich komplex und von Land zu Land und von Institution zu Institution unterschiedlich. Es umfasst einerseits den Einkauf von Lebensmitteln und Catering-Dienstleistungen durch eine öffentliche Einrichtung und andererseits die Zubereitung und Ausgabe von öffentlichen Mahlzeiten durch einen Catering- Dienstleister.

Modell der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung

Das folgende Modell soll die Komplexität des Systems veranschaulichen, um zu verstehen, wo nachhaltige Innovationen stattfinden. Es sieht je nach Standort und Institution unterschiedlich aus. In dem Modell bilden Vorschriften, Strategien und die lokale Marktsituation die Grundlage des Systems. Die öffentliche Beschaffung kann sich entweder auf die Beschaffung der Verpflegungsdienstleistung beziehen, oder die Gemeinschaftsverpflegung erfolgt intern, dann geht es bei der Beschaffung um die Lebensmittel und die Ausrüstung usw. Der betriebliche Kontext des Verpflegungsdienstes selbst reicht von den Herstellungsmodellen (wie "kochen und servieren"), den angebotenen Mahlzeiten und Menüs, den verwendeten Beschaffungskriterien und der Kommunikation, die zwischen Verpflegungsdienst, Kunden und Beschaffern stattfindet, usw. In diesen Zusammenhängen führen Innovationen, die umgesetzt werden, zu einer verbesserten Nachhaltigkeit. Zum Beispiel, wenn im Zusammenhang mit Abfallüberschüssen Mahlzeiten an Lebensmittelbanken gespendet werden, um die Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Lesen Sie mehr über das Modell, die Erkenntnisse und Nachhaltigkeitsmöglichkeiten der StratKIT-Partner im Abschnitt Ergebinsse!

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Herausforderungen

Was stimmt also nicht mit dem Ernährungssystem, und warum sollte sich etwas an der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung ändern? Zum einen gibt es eine sich entwickelnde Nachfrage der Kund*innen nach ökologisch produzierten, gesünderen und faireren Lebensmitteln. Diese Nachfrage wird durch die Herausforderungen des gegenwärtigen Ernährungssystems in Bezug auf seine Nachhaltigkeit ausgelöst.

Das Internationale Expertengremium für nachhaltige Ernährungssysteme nennt in seinem Bericht die folgenden Auswirkungen des europäischen Ernährungssystems auf Umwelt, Gesundheit und Sozioökonomie (IPES FOOD, 2019). Quelle

Umwelt

  • Landwirtschaftliche Bodennutzung verstärkt die Bodenerosion,
  • Pestizide und stickstoffbasierte Düngemittel lösen eine Kettenreaktion aus, indem sie u.a. einen Verlust an biologischer Vielfalt verursachen, was u.a. zu weniger Bestäubung führt, was u.a. zu geringeren Erträgen führt,
  • Die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelkette produzieren 30% der Treibhausgase weltweit,
  • Ein Drittel der Nahrungsmittelproduktion und mehr als die Hälfte der Fisch und Meeresfrüchte-Produktion befindet sich außerhalb der EU, was schwerwiegende Folgen in Form von Abholzung, Rechtsverletzungen, Überfischung, usw. hat,
  • Lebensmittelabfälle machen etwa 20% der produzierten Lebensmittel aus.

Gesundheit

  • Die Zunahme ungesunder Ernährungsgewohnheiten hat zu einem höheren Krankheits- und Sterberisiko in Europa geführt.
  • Die derzeitige Nahrungsmittelproduktion führt zu Luft- und Wasserverschmutzung sowie zu antimikrobieller Resistenz mit schwerwiegenden Folgen für die menschliche Gesundheit.
  • Nicht jede Person in der EU kann sich jeden zweiten Tag hochwertige Lebensmittel leisten.

Gesellschaft und Wirtschaft

  • Das Erstarken einiger weniger Anbieter in einigen Sektoren entlang der Nahrungsmittelkette (d. h.: Saatguthersteller, Landmaschinenlieferanten, Lebensmitteleinzelhändler) führen zu Machtungleichgewichten, die es den großen Akteuren ermöglichen, die Preise und Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette nach unten zu treiben. Dies wirkt sich auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Landwirtschaft, in Verarbeitungsbetrieben oder in der Logistik aus.
  • Es bedroht auch die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe, da die Kosten für die notwendigen landwirtschaftlichen Betriebsmittel (wie Saatgut, Düngemittel, Maschinen usw.) steigen, während die Preise, die den Landwirt*innen für ihre Produkte gezahlt werden, sinken.

Daher macht es einen großen Unterschied, welche Nahrungsmittel in öffentlichen Einrichtungen beschafft und ausgegeben werden. Die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung kann eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft übernehmen und einen Markt schaffen, der größere Veränderungen im Ernährungssystem ermöglicht.

Politiken und Vorschriften für den Wandel

Welches ist der Weg zur Nachhaltigkeit im Ernährungssystem und in der Gemeinschaftsverpflegung? Während sich die meisten Behörden, öffentlichen Beschaffungsabteilungen und Catering-Dienstleister auf Kostensenkung konzentrieren, wollen viele auch einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit vollziehen. Verschiedene politische Vereinbarungen, rechtliche Vorschriften und Strategien, von der europäischen bis zur regionalen Ebene, unterstützen dieses Bestreben und nähern sich der Nachhaltigkeit von Gemeinschaftsverpflegung von mehreren Seiten.

Nachhaltige Entwicklung

Unter den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen Quelle sind mehrere für die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung relevant. Dazu gehören die Ziele „Kein Hunger“ (Nr. 2), „Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion“ (Nr. 12) und „Leben unter Wasser“ (Nr. 14). Die "Förderung eines nachhaltigen öffentlichen Beschaffungswesens gemäß den nationalen Prioritäten" ist ein Teilziel des Nachhaltigkeitsziels Nr. 12.7.

Im Ostseeraum beinhaltet beispielsweise die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundeslandes Brandenburg Quelle eine nachhaltigere öffentliche Beschaffung als Ziel.

Klimawandel

Nachhaltige öffentliche Beschaffung kann für die Behörden ein Instrument sein, welches sie beim Erreichen der im Pariser Abkommen Quelle von 2015 festgelegten Klimaziele zu erreichen, indem sie die Nachfrage nach klimaneutralen Gütern und Dienstleistungen steigern.

Im Jahr 2019 entwickelte die EAT - Lancet-Kommission die so genannte "planetarische gesunde Ernährung", die sowohl gesund für die Menschen als auch den Planeten ist (Willett et al. 2019). Quelle Sie kombiniert die Auswirkungen der Ernährung auf die menschliche Gesundheit mit den Auswirkungen der Landwirtschaft auf verschiedene Nachhaltigkeitsziele und das Klima. Die Ernährung ist stärker pflanzlich geprägt und kann an die lokalen Gegebenheiten und Vorlieben angepasst werden.

Im Ostseeraum sieht die nationale Energie- und Klimastrategie Finnlands Quelle eine nachhaltige öffentliche Beschaffung als Unterstützung zur Erreichung dieser Ziele vor.

Landwirtschaft und Ernährungspolitik

Der Europäische Green Deal, mit der Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt gemacht werden soll, beinhaltet die "Vom Hof auf den Tisch Strategie"Quelle. Die Ziele sind:

  • Sichere Versorgung der Europäer*innen mit gesunden, erschwinglichen und nachhaltig produzierten Lebensmitteln
  • Bekämpfung des Klimawandels
  • Umweltschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt
  • Gerechte Einkommen in der Lebensmittelkette
  • Ausweitung des ökologischen Landbaus

Im Hinblick auf die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung ist geplant, verbindliche Mindestkriterien für eine nachhaltige Nahrungsmittelbeschaffung festzulegen. Ziel ist es, die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit nachhaltiger Nahrungsmittel zu erhöhen und einen Wandel hin zu einer gesünderen und nachhaltigeren Ernährung zu fördern. Besonderes Augenmerk wird auf Schulen gelegt, einschließlich der Erziehung zu gesunder Ernährung, nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion und der Reduzierung von Lebensmittelabfällen.

Bereits seit einigen Jahren gewinnt die Ernährungspolitik mehr Aufmerksamkeit. Seit 2015 sind mehr als 200 Städte rund um den Globus dem „Mailänder Ernährungspolitik PaktQuelle beigetreten. Diese Städte haben sich dazu verpflichtet, ein integrativeres, widerstandsfähigeres, vielfältigeres und sichereres Ernährungssystem zu schaffen, das gesunde, erschwingliche Lebensmittel für alle bietet, die Menschenrechte beachtet, Abfall reduziert, die biologische Vielfalt bewahrt und den Klimawandel bekämpft.

Im Ostseeraum werden in Deutschland (z.B. Berlin, Land Brandenburg) Ernährungsstrategien entwickelt, die auch die regionalen Ziele und Maßnahmen für ein nachhaltigeres Ernährungssystem umrahmen.

Kreislaufwirtschaft

Der neue EU-Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft Quelle legt Maßnahmen fest, um die "Kreisläufe" in der europäischen Wirtschaft zu schließen und alle Phasen im Lebenszyklus von Produkten in Angriff zu nehmen: von der Produktion über die Nutzung bis zum Abfallmanagement. Der Plan sieht die öffentliche Beschaffung als einen Schlüsselsektor für den Wandel zur Kreislaufwirtschaft. Daher plant die Europäische Kommission

  • sektorspezifische Rechtsvorschriften mit verbindlichen Mindestkriterien und Zielvorgaben für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung
  • Kapazitätsaufbau mithilfe von Leitfäden, Schulungen und die Verbreitung bewährter Verfahren sowie der Initiative „Öffentliche Auftraggeber für Klima und Umwelt

Der Aktionsplan befasst sich mit wichtigen Produktwertschöpfungsketten, von denen „Verpackung“ und „Lebensmittel, Wasser und Nährstoffe“ für die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung wichtig sind.

Auch andere EU-Richtlinien zu Abfall, Verpackung und Einwegkunststoff treiben den Übergang zur Kreislaufwirtschaft voran.

Gesundheit und Ernährung

Die Europäische Kommission lancierte eine Strategie zu Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit Ernährung, Übergewicht und Adipositas (EK 2007) Quelle, aus der hervorgeht das Gesundheits- und Ernährungsaspekte oft Bestandteil anderer Politikfelder, wie etwa Landwirtschaft, Bildung oder regionale Politiken sind. Beispiele sind Schulobstprogramme oder die Lebensmittelkennzeichnung. 2016 wurde der Rahmen für die Forschungs- und Innovationspolitik "Food 2030" (EK 2016) Quelle gestartet. Dieser zielt auf zukunftssichere europäische Ernährungssysteme, damit diese nachhaltiger, widerstandsfähiger, verantwortungsbewusster und wettbewerbsfähiger werden.

Öffentliche Beschaffungspolitik

Die gemeinsame Basis

Die EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (2014) Quelle bildet den allgemeinen Rechtsrahmen für alle Beschaffungen, die von lokalen und regionalen Behörden innerhalb der EU getätigt werden. Sie wurde in allen EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt. Sie ermöglicht die Berücksichtigung "grüner" Kriterien für die Entscheidung über ein Angebot, nicht nur den niedrigsten Preis.

Die Richtlinie ergänzt die EU-Strategie für das öffentliche Auftragsvergabe (2017) Quelle und eine Reihe von Kriterien für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung (GPP-Kriterien) für verschiedene Waren und Dienstleistungen, darunter die EU-GPP-Kriterien für Lebensmittel, Verpflegungsdienstleistungen und Verkaufsautomaten (2019) Quelle. Die GPP-Kriterien decken ein breites Spektrum an Aspekte ab: von ökologischen Lebensmitteln, Tierschutz, über die Reduktion von Lebensmittelverschwendung, Abfallvermeidung und Energieverbrauch bis hin zu fairem Handel sowie der Ausbildung des Küchenpersonals.

Nationale und regionale Politiken

Die EU hat die Mitgliedstaaten auch dazu ermutigt, nationale Aktionspläne (NAP) zur umweltfreundlicheren Gestaltung ihres öffentlichen Beschaffungswesens zu verabschieden, z.B. hat Polen einen solchen nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung verabschiedet, bei der die Information der in der öffentlichen Beschaffung Tätigen im Vordergrund steht und die Anwendung von GPP-Kriterien freiwillig ist.

Obwohl Russland nicht Teil der EU ist, hat es auch ein Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen, das eine Möglichkeit zur Umsetzung von GPP bietet. In Finnland hingegen ist der Grundsatzbeschluss der Regierung über die Förderung nachhaltiger Umwelt- und Energielösungen (Cleantech-Lösungen) im öffentlichen Beschaffungswesen (2013) Quelle für zentrale Regierungsbehörden verbindlich.

Andere Stadtregionen entwickelten Schulungsprogramme, um den Wandel zu fördern. Das "Copenhagen House of Food" Quelle hat sich erfolgreich an die öffentlichen Küchen in Kopenhagen gewandt und diese so verändert, dass sie mehr als 90% Bio-Mahlzeiten anbieten, ohne den Preis pro Mahlzeit zu erhöhen.

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